Redebeitrag der Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (15.08.2022)

Nach tödlichem Polizeieinsatz – Angst bei jugendlichen Geflüchteten
Gemeinsame Stellungnahme zur Tötung eines Jugendlichen durch Polizeikräfte in
Dortmund

Was wir wissen: Am 9. August 2022 wird Mohammed D., ein Jugendlicher, der als
unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter aus Senegal in einer
Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund lebt, durch Polizeischüsse getötet.
Betreuer*innen aus der Einrichtung hatten die Polizei gerufen. Der Jugendliche soll
ein Messer in der Hand gehabt und damit gedroht haben. Insgesamt sollen elf
Polizist*innen vor Ort und Pfefferspray und ein Taser zum Einsatz gekommen sein.
Laut Dortmunder Staatsanwaltschaft hat ein Polizeibeamter sechs Schüsse aus
seiner Maschinenpistole abgegeben, fünf davon trafen Mohammed D. in den Bauch,
in den Kiefer, in den Unterarm und zweimal in die Schulter. Die Staatsanwaltschaft
bestätigt weiter, dass der Jugendliche am Morgen aus einer psychiatrischen
Einrichtung entlassen wurde. Noch sind viele Fragen offen.

Wir sind schockiert darüber, dass ein Einsatz gegen einen einzelnen Minderjährigen
mit dem mehrmaligen Gebrauch von Schusswaffen und dessen Tod endete. Unsere
Gedanken sind bei den Angehörigen, Freund*innen und Unterstützer*innen des
verstorbenen Mohammed D. Unsere Gedanken sind auch bei all den Menschen, bei
denen diese entsetzliche Gewalttat Ängste und existentielle Verunsicherung schürt
– davor, selbst angegriffen, verletzt und im schlimmsten Fall getötet zu werden.

Was der Vorfall auslöst: Junge Menschen erfahren vor und während der Flucht
häufig massive Menschenrechtsverletzungen, sie sind Gewalt, Verfolgung,
Inhaftierung und Folter ausgesetzt und erleben das Leid und den Tod von
Angehörigen mit. Massive Einschränkungen in der Lebensplanung, durch
ungewisse Aufenthaltsperspektiven und schlechten Zugang zu
Gesundheitsversorgung und Bildung schmälern die Entwicklungschancen und
führen zu Einsamkeit und Hilflosigkeit. Nichtsdestotrotz zeigen junge Geflüchtete
mit der richtigen Unterstützung eine bemerkenswerte Resilienz und schaffen es, ein
Leben in Sicherheit aufzubauen.

Diese so notwendige Sicherheit wird durch den Vorfall in Dortmund grundsätzlich
in Frage gestellt. Solange der Fall nicht anderweitig aufgeklärt wird, weckt er vor
allem bei Jugendlichen of Color und Schwarzen Jugendlichen schmerzhafte
Erinnerungen an Fälle von unverhältnismäßiger rassistischer Polizeigewalt. Das
Vertrauen der Jugendlichen in staatliche Strukturen wird erneut massiv erschüttert,
wenn die Polizei als Vertreterin des Staates eine Bedrohung für ihr Leben ist. Auch
das Jugendhilfesystem und die Psychosozialen Zentren (PSZ) müssen der Polizei
vertrauen können, dass bei Selbst- und Fremdgefährdung Sicherheit hergestellt
werden kann und keine weitere Gefährdung von Menschenleben zu befürchten ist.

Was es jetzt braucht:
• Die unabhängige Aufarbeitung durch ein Expert*innengremium über die
polizeiinternen Ermittlungen hinaus
• Unabhängige Untersuchungs- und niederschwellige Beschwerdestellen zu
Polizeigewalt in Jugendhilfeeinrichtungen
• Den Einbezug der Perspektiven der betroffenen Communities
• Die Sensibilisierung von Polizei und Ordnungsbehörden für die Situation
psychisch belasteter Menschen und speziell Geflüchteter
• Zugang zu adäquater psychosozialer Versorgung für geflüchtete Menschen

Nach tödlichem Polizeieinsatz – Angst bei jugendlichen Geflüchteten